Pop kommt von populär

(RW) Manchmal bringt der Nikolaus ungewöhnliche Geschenke: Am 6. Dezember 2012, zur Preisverleihung der 1LIVE Krone in der Bochumer Jahrhunderthalle, erschien u.a. "Kater", so der Deckname eines der Mitglieder des Moskauer Künstlerkollektivs Pussy Riot, um den diesjährigen Sonderpreis entgegen zu nehmen.

Wer diesmal den Nikolaus gegeben hat und warum ist kein Geheimnis: Es war Jochen Rausch, der für ein Pop-Radioprogramm nicht mehr ganz junge aber dennoch sehr erfolgreiche Wellenchef von 1LIVE (WDR). Er verfolgte die Geschichte um den Pussy Riot Skandal, ließ sich zusätzlich vom ARD-Studio in Moskau über einige Details informieren, und unter seiner Regie beschloss dann die für den Sonderpreis verantwortliche Redaktion die Vergabe der (undotierten) 1LIVE Krone. Dabei mag zusätzlich eine Rolle gespielt haben, dass Pussy Riot kürzlich schon einmal – von der Stadt Wittenberg für den Preis der Lutherstädte 2013: "Das unerschrockene Wort" – für eine deutsche Auszeichnung nominiert worden war, nach heftigen Protesten aber bei der Jurysitzung am 10. November leer ausgegangen war.

Zweifellos ist die diesjährige Preisverleihung ein Lehrstück, wie man souverän einen doch eher harmlosen Teeniepreis an die große Öffentlichkeit bringt, ein politisches Statement abgibt und gleichzeitig die eigene Institution promotet. Auch auf den dritten Blick war hier also kein teurer Bochumer PR-Nikolaus vom Schlage Sascha Hellen im Spiel (unvergessen: der Steiger Award 2012, den der türkische Ministerpräsident Erdogan am Ende doch nicht erhielt)...

Wir erinnern uns: drei Mitglieder von Pussy Riot wurden nach ihrer nur eine Minute dauernden Aktion in einer Moskauer Kirche zu mehreren Jahres Straflager verdonnert, nur eine wurde begnadigt. Von Kanzlerin Merkel bis zu Madonna und Sting bekundeten Promis der westlichen Welt ihre Solidarität. Die übrigen Mitglieder von Pussy Riot mussten untertauchen, wie auch "Kater", Überraschungsgast am Tag der Verleihung, im ARD-Morgenmagazin berichtete (Foto). Aus Furcht vor Putins Rache ließ sie sogar ihre Stimme verfremden, um nicht erkannt zu werden. Man kann sich ungefähr ausmalen, wie schwierig diese Reise nach Köln und Bochum zu organisieren war.

Doch zurück zum Preisveranstalter Jochen Rausch. In einem Interview, erschienen in "Welt am Sonntag" am Wochenende vor der Vergabe, musste er auf die Frage antworten, warum dieser Preis an das drastisch agierende Künstlerkollektiv Pussy Riot gehen konnte, obwohl sie doch keine Musikband sind. Rausch verteidigte die Entscheidung mit der Begründung, dass zur Geschichte des Pop auch die Provokation im polischen Umfeld gehört, siehe Bob Dylan oder die Sex Pistols. Auch wurden schon früher Künstler anderer Sparten mit der Krone ausgezeichnet, darunter Comedian Anke Engelke oder Stefan Raab. Auf die Frage, ob eine solche Preisstrategie es nahe lege, dass der Preis nicht die Ausgezeichneten schmücke sondern die Ausgezeichneten den Preis, antwortete Rausch:

"Pop kommt nun mal von populär, und Pop verbindet ein Thema mit Emotion. ... Ich bin davon überzeugt, dass ein Song wie Udo Lindenbergs 'Mädchen aus Ostberlin' mehr bewirkte als manche politische Rede. Dass wir das mit dem Sonderpreis der Krone an Pussy Riot thematisieren, kann man uns meinetwegen vorwerfen. Aber dann müsste man die Bundeskanzlerin auch fragen, warum sie ihre Kritik an dem Urteil gegen Pussy Riot öffentlich ausgesprochen hat. Sie hätte es ja auch bei einem diskreten Brief an Putin belassen können."
(das ganze, lesenswerte Interview findet sich hier).

Eine klassische WinWin-Situation also, die man der alten Tante WDR kaum noch zugetraut hätte. Und vielleicht lassen sich so ja tatsächlich junge Pop-Künstler motivieren, ihre gesellschaftspolitischen Interessen wieder stärker öffentlich zum Ausdruck zu bringen – was Jochen Rausch, zweifellos Generation Punk, vermutlich nicht ungelegen käme.

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