Jürgen Rogge verzichtet auf den Johannes-Gillhoff-Preis 2012 für niederdeutsche Literatur, vergeben in Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern). Eine Nachricht, die auch die F.A.Z, der NDR, Focus Online und der Börsenverein des deutschen Buchhandels als so bedeutsam erachteten, dass sie darüber berichteten. Preise sind offenbar inzwischen so wichtig für das Funktionieren des Kulturbetriebs, dass schon kleine Abweichungen von gängigen politischen Spielregeln ungewohnte Aufmerksamkeit finden können…
Bürgermeister Reinhard Mach aus Ludwigslust äußerte sich bei dpa erleichtert über die Entscheidung Rogges. Dadurch, so meinte er, könne Schaden von der Johannes-Gillhoff-Gesellschaft abgewendet werden. Zuvor hatte es massive Kritik an der Auswahl des Preisträgers gegeben, der die Auszeichnung dieser Vereinigung am 16. Juni im Ortsteil Glaisin erhalten sollte, dem Geburtsort des niederdeutschen Dichters Johannes Gillhoff (1861-1930). Gillhoff hatte mit Werken wie dem Auswanderer-Roman "Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer" (1917) Erfolge bei seinen Lesern erzielt.
Zu den bisherigen Preisträgern gehörten Schriftsteller wie Walter Kempowski und Ulrich Schacht. Schacht wollte sich von der Liste der Preisträger streichen lassen, falls Rogge die Auszeichnung erhalten sollte.
Was wird Jürgen Rogge vorgeworfen? Plagiate? Schändung des Erbes von Johannes Gillhoff? Nein, die Vorwürfe liegen außerhalb seiner literarischen Bemühungen: Rogge leitete in den 1970er und 80er Jahren die psychiatrische Abteilung des Haftkrankenhauses Leipzig und war Stasi-IME (IM im besonderen Einsatz). Das Haftkrankenhaus behandelte auch politische Häftlinge. FOCUS Online: "Rogges Tätigkeit sei per se eine gewesen, bei der eng mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet wurde, meint der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen, Lutz Rathenow."
Ähnliche Stimmen gab es aus Mecklenburg-Vorpommern, Politiker wie Landrat Rolf Christiansen, der Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Hacker (SPD) und die stellvertretende Landtagspräsidentin Silke Gajek (Grüne) hatte sogar ihre Teilnahme an der Preisverleihung abgesagt.
Der Vorsitzende der Johannes-Gillhoff-Gesellschaft, Hartmut Brun, meinte dagegen noch am Mittwoch vor der geplanten Verleihung, der Gillhoff-Preis würdige Verdienste um die niederdeutsche Literatur, die berufliche Vergangenheit des Preisträgers sei für die Auswahl ohne Belang. Auch nach der Absage von Rogge, beim jährlichen Gillhoff-Tag in Glaisin, legte er in seiner Begrüßung noch einmal doppeldeutig nach: "Johannes Gillhoff war ein gläubiger Christ… (mit der) Toleranz und Fähigkeit, Menschen zu vergeben, wenn sie einmal gefehlt haben. Es schadet wirklich nichts, Gillhoff einmal zu lesen", meint Brun und fügt dann doch noch hinzu: "Wenn wir mit der Vergabe des Johannes-Gillhoff-Literaturpreises 2012 gefehlt haben sollten, so bedauern wir das und bitten die Beteiligten um Vergebung." (RW/J.E.)