Was heißt hier Zivilcourage? Eine verhinderte Preisverleihung
(AJW) Es ist immer wieder verblüffend zu sehen wie Diskussionen über diese oder jene Preisvergabe unversehens in öffentliche Debatten über Grundsatzfragen münden können. Jetzt geschah dies erneut, als über die Bedeutung von "Zivilcourage" gestritten wurde und wie man sie auszeichnen kann. Eine Meldung von SPIEGEL ONLINE am 12.02.2011 hatte die Debatte ausgelöst.
Der von der "Europäischen Kulturstiftung Pro Europa" – eine Gründung aus Basel mit Adresse in Freiburg, also nicht zu verwechseln mit der Europäischen Kulturstiftung in Amsterdam (European Cultural Foundation) – neben einer Vielzahl anderer Auszeichnungen erstmals ausgelobte Preis sollte am 4. März in der Frankfurter Paulskirche verliehen werden.
Das Echo blieb nicht aus: die meisten Zeitungen, andere Medien, vor allem aber die Nutzer-Foren im Internet griffen das Thema begierig auf, diskutierten dabei nicht nur das Für und Wider dieser Vergabe sondern zugleich auch Grundsätzliches. Hier z.B. einige Stimmen aus den Foren von T-Online vom 13.2.:
Re: Wo ist denn da die Zivilcourage ??
champagne schrieb:Vier Tage hat Frau Käßmann mit dem Rücktritt gewartet und ist erst auf Druck der Öffentlichkeit zurückgetreten . Wenn dafür bereits der Europäische Kulturpreis für Zivilcourage verliehen wird, dann muss es um die Zivilcourage in unserem Land mehr als schlecht bestellt sein .
Ottonorma schrieb:
Frau Käßmann hat sich aufrichtig und ehrlich verhalten - auch wenn es 4 Tage gedauert haben soll. So ein Schritt ist nicht einfach und wer weiß was noch alles dahinter steckte… Nur ist natürlich eine Preisverleihung für Zivilcourage dafür eher lächerlich und es kommt mir vor wie ein Wiedergutmachung für das Opfer das Frau Käßmann gebracht hatte. Verstärkt eher meinen Verdacht. Man sieht prominente Personen haben es einfacher einen Europapreis zu erhalten.
Hallo Ottonorma ,
mit ihrem Rücktritt hat Frau Käßmann kein Opfer gebracht , der war unausweichlich . Ihre moralische Autorität beschädigt .
Gruß Crapule
msiduna schrieb:
Ja man kann auch Erinnerungen verdrängen. Sie ist mit Alkohol am Steuer angetroffen worden. Sie hat daraus Konsequenzen gezogen, aber nie auf öffentlichen Druck. Die öffentliche Meinung war damals, dass sie ihr Amt behalten solle.
Aber das passt ja nicht in Ihr Konzept
Hallo msiduna ,
welche Öffentlichkeit ? Ihre moralisch Autorität war beschädigt, kein Vorbild mehr für die Jugend. Mir geht es auch nicht um die "Sauffahrt", sondern um einen Preis für Zivilcourage für eine Selbstverständlichkeit.
Gruß Crapule
Auch in politischen Kreisen geriet mancher ins Nachdenken: Der Fraktionsvorsitzende der FREIEN WÄHLER im Frankfurter Stadtparlament, Wolfgang Hübner, reagierte auf die Einladung zur Preisverleihung in der Paulskirche zunächst mit Spott: "Wenn ein berüchtigtes, im meiner Heimatstadt Frankfurt erscheinendes Satiremagazin hinter der Preisverleihung stecken würde – was ich im ersten Augenblick als langjähriger Titanic-Leser vermutete – dann wäre das immerhin einen anerkennenden Lacher wert." Für ihn hatte Frau Käßmann mit ihrem Rücktritt nur das getan, was "gerade für eine Persönlichkeit mit hoher Vorbildfunktion selbstverständlich sein sollte." So lehnte er die Einladung ab und befragte die Juroren des Preises:
"Was bitte erfordert an diesem Verhalten 'Zivilcourage'? Allein in der Stadt, in der ich lebe und politisch tätig bin, hat es im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von Frauen und Männern gegeben, die in gefahrvollen Situationen Zivilcourage bewiesen haben. Wie viele werden es dann erst in ganz Deutschland gewesen sein? Haben Ihre Juroren unter all diesen tapferen Menschen keinen gefunden, der diesen Preis ungleich mehr verdient hätte als Frau Käßmann? …Ich bin ohnehin erstaunt, dass Frau Käßmann diesen Preis überhaupt annehmen will – in vergleichsweiser Lage wäre mir das allzu peinlich."
Am Ende wurde es aber gar nicht peinlich, denn die gekürte Preisträgerin mochte die ihr hier angebotene Ehrung tatsächlich nicht annehmen. Stiftungspräsident Dr. Ernst Seidel ließ in einer Pressemitteilung am 15.2. verlauten: "Die Altbischöfin hat uns… gebeten, von einer Preisverleihung abzusehen; die Stiftung hat daraufhin beschlossen, die Preisverleihung auszusetzen und nach einer anderen Gelegenheit zur Würdigung des Lebenswerkes von Frau Dr. Käßmann zu suchen." Der Präsident führt dies auf die Proteste, mehr noch, auf ein "Klima der gnadenlosen Intoleranz" zurück, um dann fortzufahren:
"Wir hoffen, die blinden Kritiker, die nur auf den Fehler starren und dabei das Gute nicht mehr sehen, mögen noch erkennen, dass vergeben göttlich ist. Besonders bei Betrachtung des persönlichen Schicksals der Altbischöfin. Für uns bleibt Frau Dr. Käßman eine bemerkenswerte Frau mit Zivilcourage!"
Woran, mit Blick auf die gesamte Lebensleistung der verhinderten Preisträgerin, ernstlich niemand zweifeln wird…