Unverhoffte PR für Nachwuchspreis

"Pinkelnde Petra"
Der erste Kunstpreis-Skandal des Jahres 2011?

(JE) Gelegentlich treibt die an Nachrichten arme Zeit zu Beginn eines Jahres besondere Blüten. Was sonst vielleicht kaum eine Zeile im hintersten Winkel des Feuilletons wert gewesen wäre, schlägt plötzlich gigantische Wellen im Medienwald:

Da erhält der Nachwuchskünstler Marcel Walldorf an der Kunsthochschule in Dresden den Dritten Preis der Hamburger Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst, dotiert mit 1000 Euro – so what? könnte man fragen. Nachdem allerdings die lokale Online-Ausgabe der BILD-Zeitung am 6.1.2011 den "Pipi-Kunst-Skandal" ins Rollen brachte, verbreitete sich der u.a. über die Deutsche Presse-Agentur und die Internet-Dienste von FOCUS und DER SPIEGEL im gesamten deutschen Sprachraum; selbst das Liechtensteiner Volksblatt mochte da am 13.1. auf eine Schilderung der anstößigen Details nicht verzichten.

Die 2010 entstandene und zuvor ohne größeres Aufsehen bereits ausgestellte Wettbewerbsplastik für den Nachwuchspreis der Stiftung zeigt eine Polizistin in voller Demo-Ausrüstung, die einem allzu menschlichen Bedürfnis nachgeht. Wie dpa bei der Hochschule in Erfahrung brachte, wollte der Künstler die Verletzlichkeit eines Menschen darstellen, der seines Schutzraumes beraubt sei. Es sei ihm im Sinne Ausschreibung  um eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum gegangen. In den Dresdner Neuesten Nachrichten meinte die Hochschul-Sprecherin Weippert: "Die Provokation als künstlerisches Mittel hat über Jahrhunderte hinweg eine Rolle gespielt und befindet sich somit in einer klassischen Tradition". Es sei erstaunlich, dass eine so kleine Figur eine so große Wirkung auslösen könne. "Der Autor hat selbst nicht damit gerechnet."

In einem Interview von SPIEGEL-Online vom 12.1. verriet dieser noch, dass er in der Realität durchaus schon entsprechende Bilder männlicher Polizisten gesehen hatte, die ihren Dienst an der Demonstrationsfront kurzzeitig unterbrechen mussten; so habe ihn die Frage beschäftigt, wie dies beim anderen Geschlecht aussehen würde.

Wie so oft, waren es vor allem Bilder und Überschriften, die den "Skandal" erst richtig anheizten.  Laut BILD und FOCUS, hatte der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) von einer "Schande" gesprochen, die aus seiner Sicht "eine Beleidigung der Polizistinnen und eine Verletzung der Menschenwürde" bedeute“ Er sei schockiert, dass es Gremien gebe, die solchen sogenannten Künstlern Preise verleihen würden. Am 12.1. sah sich das Ministerium veranlasst, den Eindruck zu korrigieren, Kunst einschränken oder gar verbieten zu wollen. Ulbig sei für die Freiheit der Kunst und habe im besagten Fall nur die Preisvergabe kritisiert.

Im SPIEGEL-Interview machte sich der Künstler am gleichen Tag seinen eigenen Reim auf die Geschichte und kommt damit auch den Intentionen der Preisstiftung recht nahe. Hier Auszüge:

SPIEGEL ONLINE:Inzwischen wehklagte die Gewerkschaft der Polizei, sie sehe die "Grenze der Kunstfreiheit überschritten", der sächsische Innenminister sagte, das Kunstwerk sei eine "Beleidigung für Polizistinnen". Schmeichelt es Ihnen, dass sogar der Innenminister auf Ihre Kunst reagiert?

Walldorf:Ja, klar schmeichelt es mir. Bessere Werbung für mich und schlechtere für ihn geht nicht.

SPIEGEL ONLINE:Bereuen Sie, [BILD] das Interview gegeben zu haben?

Walldorf:Nein, für mich als Student ist es eine einmalige Chance zu sehen, wie der Kunstmarkt und die Medien funktionieren. Da kann ich gut für später trainieren.

SPIEGEL ONLINE:Sie haben in den vergangenen Tagen ziemlich viel trainiert.

Walldorf:Bei mir klingelt permanent das Telefon. Insgesamt haben etwa 30 Journalisten angefragt. Dabei habe ich eigentlich gar keine Zeit. Ich muss zusehen, dass ich nicht ins Schleudern gerate und meine Arbeit fertig bekomme. Am Freitag habe ich meine erste eigene Ausstellung. Der Hype hat mich kalt erwischt, aber genauso kalt lässt er mich auch.

SPIEGEL ONLINE:Schwer zu glauben, schließlich profitieren Sie davon.

Walldorf:Klar, das ist super für mich. Etwas Besseres kann mir nicht passieren. Aber ich werde davon nicht übermütig, sondern versuche, es so relaxt wie möglich zu sehen…

SPIEGEL ONLINE:Gab es Reaktionen seitens des Kunstmarkts? 

Walldorf:Es haben sich viele Sammler gemeldet, denen meine Arbeit gefällt und "Petra" ist auch schon verkauft.

Immerhin hatte der BILD-Reporter bei seiner ersten Recherche auch den Rektor der Dresdner Kunsthochschule ("Kunst setzt sich mit sich selbst und der Gesellschaft auseinander und greift auch Tabuthemen auf") sowie den Stifter des Preises, Ralf Leinemann befragt, der die Vergabe gelassen verteidigte: "Eine aufwendige gestalterische Arbeit. Die Motivwahl ist Sache des Künstlers. Ich kann verstehen, dass mancher das etwas provokant findet. Aber jeder reagiert eben auf Kunst anders."

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