Angelika Stepken über die Villa Romana
Seit 110 Jahren lädt das Künstlerhaus Villa Romana deutsche Künstler/innen – und inzwischen auch solche aus anderen Ländern – nach Florenz ein. Das geschieht unter anderem über den gleichnamigen Preis, verbunden mit einem Stipendium und dem Arbeitsaufenthalt in einer neoklassizistischen Villa im Grünen. Von der Leiterin, Angelika Stepken, erfuhr Regina Wyrwoll dazu für KULTURPREISE Einzelheiten zum Programm und seiner Wirkung auf die Kunstszene.
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Wyrwoll: Die Villa Romana in Florenz wurde 1905 gegründet und ist damit das erste deutsche Künstlerhaus im Ausland. Wie ist es damals zur Gründung der Villa Romana gekommen? Wer waren die Träger?
Stepken: Die Villa Romana verdankt ihre Existenz als Künstlerhaus in Florenz der Künstlerselbstorganisation in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während Häuser wie die Villa Massimo oder Villa Medici in Rom als kulturelle Botschaften der jungen Nationalstaaten installiert wurden, war es ein Kreis von individuellen Künstlern und Förderern um Max Klinger, der jenseits der staatlichen, wilhelminischen Kunstinstitutionen Räume und Formate der produktiven Selbstbestimmung schaffen wollte. Zur selben Zeit wie die Villa Romana wurde beispielsweise auch der Deutsche Künstlerbund gegründet. Träger der Villa Romana ist seit 1905 bis heute der gemeinnützige Verein Villa Romana e.V..
Warum Florenz? Die Stadt ist heute kein internationales Zentrum für zeitgenössische Kunst. Sollten sich deutsche Künstler primär an den Originalen der italienischen Renaissance schulen, die in Florenz so zahlreich zu sehen sind?
Der Villa Romana e.V. vergibt den Villa Romana-Preis, das ist also eine Auszeichnung, kein "Nachwuchs-Stipendium". Der Preis ist heute an eine zehnmonatige Anwesenheit im Künstlerhaus gebunden. Hier stehen den Preisträgern Wohn- und Atelierräume zur Verfügung und sie erhalten ein monatliches Barstipendium. Die Begründung des Preises ist heute wie damals: die Auszeichnung hervorragender künstlerischer Qualität, wobei den Preisträgern die Möglichkeit gegeben wird, sich fern ihres alltäglichen Umfelds intensiv auf ihre künstlerische Arbeit zu konzentrieren.
Wie sich Künstler dann auf den Standort Florenz beziehen, ist individuell unterschiedlich. Florenz ist eine Stadt mit ca. 400 000 Einwohnern und so zeitgenössisch wie jede andere Stadt auch. Sie ist touristisch auf Grund des kulturellen Erbes, sie ist von Migration geprägt, sie hat eine hohe Dichte von internationalen Forschungsinstituten. Sie liegt in einem Land des südlichen Europas. Allein schon dieser Perspektivwechsel – etwa dass die Kunstszene Nordafrikas nicht weiter entfernt ist als die von Berlin oder Paris – kann ein Gewinn während des Aufenthalts sein. Das Problem von Florenz ist nicht die Vergangenheit – auch wenn diese erhebliche Aufwendungen und Kenntnisse verlangt. Es ist eher das Klischee, unter dem diese Stadt aus dem Norden wahrgenommen wird. Man muss schon sehr aufpassen, wie sehr die eigene Wahrnehmung auch durch eine Sozialisation im Nachkriegs-Deutschland geprägt ist.
Für die künstlerische Arbeit bietet Florenz eine ungeheure Dichte an möglichen Bezügen, da sich hier in den gigantischen Archiven wie auch in der Bearbeitung des Bodens die gesamte Geschichte der sogenannten Neuzeit manifestiert. Außerdem: die Kunstproduktion in Florenz hörte ja nicht mit der Renaissance auf, es gab einen starken europäischen Kunsthandel von Florenz aus, in den 60/70er Jahren des 20. Jahrhunderts drehte Bill Viola hier seine ersten Videos bei 22art tapes, die Radikale Architektur von Superstudio und anderen Gruppen ging von Florenz aus. Viele Protagonisten dieser Jahre leben heute noch in der Stadt.
Sie haben das Haus 2006 von Joachim Burmeister übernommen, der die Villa Romana immerhin 34 Jahre lang geleitet hatte. Was haben Sie verändert?
Wir haben das Haus nach der grundlegenden Sanierung 2006/2007 neu profiliert: die Ausstellungsräume wurden erweitert, der anderthalb Hektar große Garten mit atelier le balto (Berlin/Le Havre) neu interpretiert. Wir haben ein Programm mit internationalen Gastkünstlern, vor allem aus der Mittelmeerregion, initiiert und neben den Ausstellungen zahlreiche interdisziplinäre Formate der Wissensproduktion entwickelt. Zudem beherbergen wir seit über 5 Jahren Radio Papesse, ein online Kunst -Radio, mit dem zahlreiche Kooperationen entstanden. Das Haus mit seinen 40 Zimmern, darunter auch vier Gästezimmer, funktioniert einerseits intern als Produktions- und Kommunikationsstätte, andererseits ist es auf der italienischen Kunst -Landkarte ein international geprägter und durchlässiger Ort, der nach außen intensiv kommuniziert.
Wie wurden früher und wie werden heute die Stipendiaten ausgesucht?
Bis zu meiner Ankunft gab es ein zweistufiges Juryverfahren, das recht aufwändig war. Um die "Trefferquote" zu erhöhen und tatsächlich argumentativ und genau zu jurieren, arbeiten wir seit 2007 mit einer kleinen zweiköpfigen Jury, die jedes Jahr wechselt. Ein/e Künstler/in und Vertreter/innen aus dem kuratorischen oder Theoriebereich schlagen jeweils mindestens 5 Kandidaten vor, deren Arbeiten wir dann in einer gemeinsamen Sitzung in Florenz vorstellen und diskutieren. Die Juroren werden im Folgejahr zu Atelierbesuchen oder lectures eingeladen.
Seit den 1920er Jahren unterstützt die Deutsche Bank das Haus, übrigens ein bemerkenswert langer Zeitraum für Kultursponsoring. Gab es in dieser Zeit auch Probleme mit dem Sponsor? Gab es auch bei den anderen Trägern Stabilität?
Es ist inzwischen die Deutsche Bank Stiftung, die die Villa Romana als Hauptförderer großzügig unterstützt. Die Zusammenarbeit ist wirklich vorbildlich, auch auf der Ebene des persönliches Einsatzes und einer offenen Kommunikation. Darüber hinaus hatten wir ja sowohl 2008 wie 2012 die Gelegenheit, die Villa Romana Preisträger und vor drei Jahren auch viele andere Künstler aus unserem Programm in der Deutsche Bank Kunst Halle (anfangs: Deutsche Guggenheim) vorzustellen. Das war schon ein sehr deutliches Bekenntnis zur Bedeutung, die der Villa Romana heute gegeben wird. Neben der Deutsche Bank Stiftung ist die Bundesregierung mit dem BKM der zweite Hauptförderer. Beide haben ihre Zuwendungen in den letzten Jahren erhöht. Schwieriger ist es, andere Firmen, private Förderer oder Stiftungen für eine institutionelle Förderung zu gewinnnen. Aber Siemens und Daimler-Benz sind treue Förderer, ebenso die Dr. Egon und Hildegard Diener-Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. "Einfacher" ist es – wie in anderen Häusern auch – projektbezogene Mittel einzuwerben, teils auch von italienischer Seite.
Ganz besonders hervorheben muss ich aber das Engagement der Familie Arend und Brigitte Oetker, die der Villa Romana eng verbunden sind und sowohl in 2010 wie in diesem Jahr eine ganz erhebliche Förderung zum Bau eines temporären Veranstaltungspavillons im Garten der Villa gegeben haben.
Sie leben und arbeiten nun fast schon 10 Jahre in Florenz. Wie begegnen Sie dem traditionellen Kunstleben der Stadt und der Region - durch besondere Kooperationen oder durch das internationale Veranstaltungsprogramm?
Es gibt, wie gesagt, in Florenz nicht nur Tradition, sondern auch eine hohe zeitgenössische Kompetenz. Was in Italien generell anders – und anfälliger – organisiert ist, ist das institutionelle Netzwerk für zeitgenössische Kunst. Das ist leider heftigen politischen und ökonomischen Schwankungen ausgesetzt. Wir kooperieren mit zahlreichen Partnern im regionalen Umfeld, aber wichtiger ist es noch, eigene Akzente zu setzen – auch als Auseinandersetzung mit der Reinterpretation von Geschichte. Das haben wir gerade im Frühjahr zum Beispiel mit dem internationalen Symposium UNMAPPING the RENAISSANCE gemacht, das von der Villa Romana-Preisträgerin Mariechen Danz 2013 angestoßen und dann in Kooperation von Villa Romana und dem hiesigen Kunsthistorischen Institut realisiert wurde. Jetzt versuchen wir gerade, daraus eine Publikation zu machen. Die Kunstszene in der Region ist vielfältig und international, in dem Sinne, dass hier mexikanische, amerikanische, albanische Künstler leben und andererseits toskanische Künstler gerade in London, Berlin oder Barcelona arbeiten. Diese Spannung zwischen globaler Orientierung und lokaler Artikulation ist sehr produktiv.
Nach Ihrer nun langen Erfahrung: Worin besteht der Wert einer solchen Institution – oder anders gefragt: Was würde Florenz fehlen, gäbe es die Villa nicht mehr?
Die Villa Romana-Preisträger schreiben am Ende ihres Aufenthalts ja immer einen Report über ihre Erfahrungen. Und in fast allen Texten tauchen zwei Aspekte auf: In gewisser Distanz zu seinem alltäglichen Umfeld "hört man seine eigene Stimme besser" – so hat es vor drei, vier Jahren einmal Yorgos Sapountzis formuliert. Die meisten fühlen sich gestärkt nach den zehn Monaten Residenz. Die spezifischen Anregungen, die jeder hier gefunden hat, sind dann unterschiedlich, schlagen sich manchmal sofort in neuen Arbeiten nieder, manchmal nur indirekt oder später. Katharina Grosse hatte in den 90er Jahren hier über die Fresko-Malerei zu ihrem Allover-Verfahren gefunden. Andere finden neue Vernetzungen im italienischen Ausstellungsbetrieb. Für alle gilt sicher auch, dass nach zehn Monaten in Italien ihr Horizont nicht mehr am nördlichen Mittelmeer abbricht, sondern persönliche Kontakte zu Kollegen/innen z.B. aus Palästina, Marokko, Algerien, Albanien, Griechenland oder Syrien geknüpft wurden.
Florenz würde, glaube ich, sehr viel fehlen, wenn es die Villa nicht mehr gäbe. Sie ist ein wesentlicher Impulsgeber für die zeitgenössische künstlerische Diskussion im Großraum Florenz, und der reicht über Prato und Pistoia nach Pisa, Livorno. Entsprechend wird die Villa auch ganz selbstverständlich in alle kommunalen oder regionalen Initiativen und Runden Tische miteinbezogen.