Aus einem Interview mit Orhan Pamuk, Neue Zürcher Zeitung, 27.3.2015
Als ich in den frühen siebziger Jahren zu schreiben begann, wurden vielleicht fünfzig Romane pro Jahr publiziert; mittlerweile sind das Lesepublikum wie auch die Buchindustrie gewaltig gewachsen. Aber die Filter, die eine Art Hierarchie des literarischen Geschmacks erzeugen – Selektion, Förderung durch Preise –, sind bei uns nicht stark genug. So gibt es meinem Empfinden nach eine Art chaotischer Anarchie, die auch zu einer Desintegration der Literaturszene führte. Das ist vielleicht auch demokratisch: Die Schriftsteller haben ihre Blogs, ihre Zeitschriften, ihre Websites, wo sie sich austauschen; es ist heute viel einfacher, sich in den literarischen Dialog einzuschalten oder ein Buch zu publizieren. Es gibt keine sicht- und überschaubare Literaturszene, aber eine Unzahl junger Autorinnen und Autoren. Das macht es für den Einzelnen allerdings auch schwieriger, wahrgenommen zu werden, sich als Schriftstellerpersönlichkeit zu profilieren.