Claus Sprick, Präsident des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in Straelen, war 15 Jahre lang tagsüber Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und, laut eigener Aussage, bei Vollmond zugleich Übersetzer aus dem Englischen und Französischen. Heute, nach seiner Pensionierung, kann er sich voll auf seine zwei großen Leidenschaften konzentrieren: die literarische Übersetzung und das EÜK, wie sich das Kollegium kurz nennt. Seit 2001 verleiht das EÜK, neben seinen Aufenthaltsstipendien, in Zusammenarbeit mit der Kunststiftung NRW den am besten dotierten Übersetzerpreis in Deutschland. Am 13. Oktober 2013 erhielt das EÜK selbst einen Preis: den Kulturpreis Deutsche Sprache. Regina Wyrwoll hat Claus Sprick in Straelen besucht.
Wyrwoll:
Herr Sprick, wann wurde das Übersetzerkollegium in Straelen gegründet und warum ausgerechnet in diesem Städtchen am Niederrhein direkt an der holländischen Grenze?
Sprick: Im April 1978 wurde mit der Gründung des Kollegiums ein Traum des hochgeschätzten Übersetzers Elmar Tophoven Wirklichkeit, der in Straelen geboren war und auf der Suche nach einem Standort für eine neue „Übersetzerschule von Toledo“ natürlich auch an seine Heimatstadt dachte. Hier kannte man ihn, vertraute ihm, und so gelang es ihm in zahlreichen Gesprächen und mit tatkräftiger Unterstützung des damaligen Präsidenten des Übersetzerverbandes, Dr. Klaus Birkenhauer, die Stadt Straelen zu überzeugen, ein solches Wagnis einzugehen. Die Konzeption hat sich über die Jahre nicht verändert, aber das heutige Gebäude des Kollegiums gab es noch nicht. Wir hatten ab 1980 ein kleines Haus mit sechs Zimmern.
Wyrwoll:
Und wie viele Zimmer haben Sie jetzt für Ihre Aufenthaltsstipendien?
Sprick:
Wir haben jetzt 30 kleine Appartements. Von unserer Belegungsrate kann die Hotelbranche nur träumen: im Schnitt haben wir 20 Gäste gleichzeitig im Haus. Außerdem ist unsere Bibliothek an Handbüchern und Lexika in Deutschland einmalig: ungefähr 110.000 Bände, darunter 25.000 Nachschlagewerke in mehr als 275 Sprachen findet man hier. Das ist sicher einer der Gründe, weshalb wir so viele Übersetzer zu Gast haben.
Wyrwoll
Und die anderen Gründe?
Sprick:
Kann man gar nicht alle aufzählen. Hier kann man sich zurückziehen und ungestört arbeiten, aber auch das Gespräch mit Kollegen suchen, und niemand schreibt einem eine bestimmte Arbeitsweise vor. Ideale Bedingungen für Individualisten, die literarische Übersetzer nun einmal sind.
Wyrwoll:
Können Sie uns sagen, wie man sich als Übersetzer um ein Stipendium in ihrem Haus bewerben kann?
Sprick:
Wenn man an einem Verlagsauftrag arbeitet – das ist Voraussetzung – ruft man einfach an und fragt, ob ein Zimmer frei ist. So einfach ist das – ganz ohne Bewerbungsformulare.
Wyrwoll:
Sie nennen sich Europäisches Übersetzer-Kollegium Straelen. Welcher Gedanke, oder sagen wir, welche Hoffnungen haben sich mit dem europäischen Bezug im Titel verbunden und haben sie sich eingelöst (diese Frage zielt darauf, dass sich immer wieder „europäische“ Institutionen gründen und dann enttäuscht werden)?
Sprick:
Europäisch ist eigentlich zu bescheiden, denn zu uns kommen Übersetzer aus allen Teilen der Welt. Ein wenig enttäuscht hat uns allerdings ausgerechnet die EU – nach anfänglicher Förderung wurden die bürokratischen Hürden dort so hoch, dass wir seit einigen Jahren davon absehen, Fördermittel zu beantragen. Der „Eventkultur“, die die EU vorrangig fördert, haben wir mit unserer stillen und beständigen Arbeit wenig entgegenzusetzen, dafür hat man in Brüssel wenig Verständnis. Obwohl das Geld unter Kosten-/Nutzengesichtspunkten bei uns gut angelegt wäre: bei uns arbeiten Multiplikatoren, in diesem Haus entsteht Weltliteratur, die es ohne Übersetzer nicht gäbe.
Wyrwoll:
Das Europäische Übersetzer-Kollegium ist in Deutschland einzigartig. Gibt es so etwas auch in anderen Ländern?
Sprick:
Oh ja, es haben sich nach unserem Modell im Laufe der Jahre verschiedene Häuser gegründet, in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, England, Schweden, Schweiz, Ungarn, um nur einige zu nennen. Mit diesen Häusern pflegen wir regelmäßigen Austausch.
Wyrwoll:
Kommen wir zum Preis: der Straelener Übersetzerpreis - hier Bilder von der Preisverleihung 2013 (Fotos Regina Peeters): Nikolaus Stingl und Ursel Allenstein (Förderpreis) mit den Preisstiftern - ist inzwischen schon 12 Jahre alt, wurde aber gerade erst zum 10. Mal verliehen. Wie kommt das?
Sprick:
Diese etwas merkwürdige Mathematik erklärt sich daraus, dass der Preis anfangs nur im zweijährigen Turnus verliehen wurde; inzwischen können wir ihn jährlich verleihen - und zwar je zweimal aufeinanderfolgend an eine Übersetzerin oder einen Übersetzer ins Deutsche und dann einmal an eine/n Übersetzer/in aus dem Deutschen. Seit 2012 wird der Preis übrigens durch einen Förderpreis für junge Übersetzer ergänzt. Die Kunststiftung NRW ist dabei seit Beginn 2001 unser Partner, sie finanziert die Preise. Sie hat uns auch bald nach der Gründung bis heute, ebenso wie übrigens die Landesregierung mit jährlichen Stipendien finanziell unterstützt. Und nun zum 10. Jubiläum konnten wir dem Preis auch endlich seinen angemessenen Namen geben: Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW.
Wyrwoll:
Warum haben Sie sich zu diesem Preis entschlossen? War er nötig als Ergänzung zu anderen Preisen?
Sprick:
Übersetzerpreise haben eine lange Tradition, sie standen aber immer im Schatten der Literaturpreise, fielen sozusagen als Brosamen vom Tisch der Literaturpreise – sowohl von der Dotierung als auch vom Renommee. Uns ist es gelungen, einen Preis nur für Übersetzer zu schaffen, der im deutschsprachigen Raum mit 25.000 € sogar der am höchsten dotierte ist.
Wyrwoll:
Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Preis gemacht, der sich ja, wie wir gehört haben, mehrfach verändert hat?
Sprick:
Eigentlich nur gute. Der Preis steht und fällt ja immer auch mit den Preisträgern und den Übersetzungen, die dort gewürdigt werden. Und wir hatten das Glück, immer wieder kompetente Jurys zu haben, die eine sehr gute Auswahl getroffen haben, sodass wir auf unsere Preisträger ausnahmslos stolz sein konnten. Das hat dem Preis Auftrieb gegeben, ihm sein Renommee verliehen. Die Zahl der Preisvorschläge stieg rasch auf über 50. Es wurde also schnell klar, dass dem Preis eine jährliche Verleihung gut tun würde.
Wyrwoll:
Es dürfte nicht ganz einfach sein, diese wechselnden Jurys gut zu besetzen, besonders auch, wenn es um preiswürdige Übersetzungen aus dem Deutschen geht.
Sprick:
Es ist immer schwierig, da allen gerecht zu werden. Wenn Übersetzungen aus oder in Sprachen, die in der Jury nicht vertreten sind, miteinander konkurrieren und man nicht im Einzelnen nachprüfen kann, was stand denn nun im Original oder wie ist in der anderen Sprache umgesetzt worden, wird es etwas heikel. In der Regel aber merkt man der Übersetzung an, ob sie gelungen ist: ein erfahrener Juror wittert es, wenn da etwas nicht stimmt. Man muss eben vieles gesehen haben, um es auch vergleichen zu können, um sich selber Maßstäbe bilden zu können.
Wyrwoll:
Wer war Ihr Lieblingspreisträger?
Sprick:
Immer der, der gerade dran ist, natürlich!
Wyrwoll:
Wird hier im Übersetzer-Kollegium eine besondere Form von Übersetzungen gepflegt? Es gibt ja Beispiele von sehr freien Übersetzungen wie z.B. Raoul Schrott mit der „Ilias“ oder auch Barbara Köhler mit den Gedichten von Gertrude Stein.
Sprick:
Es gibt bei uns keine Dogmen! Was wir aber verlangen, ist eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit dem Original, dass man auch wirklich alle Möglichkeiten abtastet und erst dann das Wagnis unternimmt, etwas sehr frei zu machen. Wenn wir sehen, dass das gelungen ist, wunderbar! Aber unseren Beifall verdient auch derjenige, der sich ganz eng an das Original hält, wenn dabei ein gut lesbares Buch herauskommt, denn das ist manchmal sogar die größere Kunst.