"Ja zur Literaturförderung!"

Interview mit Christiane Kussin

In einem Gespräch, das Michael Dahnke kürzlich mit ihr für kulturpreise.de geführt hat, äußert sich Christiane Kussin, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten, zu verschiedenen Aspekten der Literaturförderung in Deutschland und Europa.

Dahnke: Frau Kussin, seit September 1991 sind Sie Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten und damit bereits seit über 20 Jahren in der öffentlichen Literaturförderung tätig. Zunächst ganz allgemein: Was halten Sie vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung für förderungswürdig? Sollen mit literarischen Auszeichnungen "aktuelle thematische Relevanz" und "Verkaufserfolge" wie bei der "Corine" Internationaler Buchpreis gefördert werden? Oder gibt man eher der bei Verlagen wie Buchhandel gleichermaßen gefürchteten weil meist kaum verkäuflichen experimentellen Lyrik öfters eine Chance?

Kussin: Zuerst und grundsätzlich: Ja zur Literaturförderung! Allerdings sehe ich keinen Sinn darin 'Verkaufserfolge' zu fördern, nach dem Motto: "Herzlichen Glückwunsch zum Bestseller! Weil der so erfolgreich war, bekommen der Verlag oder der Autor noch etwas dazu." Das leuchtet irgendwie nicht ein. Ansonsten kann meiner Meinung nach ruhig alles gefördert werden. Literaturförderung schließt ja alles ein: Von Einrichtungen, die Literatur vermitteln, wie literarischen Gesellschaften und Literaturhäusern, über die Autorenförderung bis zur schulischen Förderung des Lesens.

In der Studie von Porombka und Splittgerber[1], die sich mit den Einrichtungen in den 'neuen' Bundesländern beschäftigt hat, wird zwar die Meinung vertreten, dass das Prinzip der Gießkanne nicht förderlich sei. Es würden überall, aber insgesamt zu wenig Mittel verteilt. In diesem Zusammenhang sollte man sich aber die Zahlen der Kulturförderung und insbesondere die der Literaturförderung insgesamt ansehen. Im Vergleich zu anderen Zielen der Subventionierung handelt es sich hier doch nur um einen Tropfen. Vielleicht kann man einmal anders darüber nachdenken, sollte das bedingungslose Grundeinkommen doch noch durchgesetzt werden. Dann bräuchte es grundsätzlich eigentlich keine Autorenförderung mehr. Ob geförderte Einrichtungen allerdings immer ihre Ziele erreichen, das vermag ich nicht zu sagen. Schließlich wird zwar seit etlichen Jahren der Umbruch der gesamten Literaturbranche diagnostiziert; in der Praxis benehmen sich aber alle wie immer. Also: Es gibt Schlimmeres als Literaturförderung. Insbesondere die Lyrik hat doch eine ziemlich gute Lobby. Leider ändert das nichts daran, dass sich Lyrikbände nicht gut verkaufen. Die Literaturwerkstatt möchte nun ein Deutsches Zentrum der Poesie gründen; selbstverständlich mit staatlicher Unterstützung.

Andererseits schreibt Jan Kuhlbrodt in seiner Rezension Imperium und Garten[2] eines von Norbert Lange zusammengestellten und eingeleiteten zweiteiligen Dossiers mit dem Titel Problems of Horror – Sechs britische Widerstandsnester: "Vielleicht, und das ist ein zynischer Gedanke, aber er überkommt mich unweigerlich bei der Lektüre und dem Wissen, dass auf der Insel ähnliche Förderstrukturen wie hierzulande nicht existieren, ist die englische Dichtung in Teilen ja politischer als die deutsche, weil sie weniger staatlich gepuffert wird, weil ihr die etatistischen Spritzen und Beruhigungstabletten fehlen, die hierzulande gut dosiert verabreicht werden. Vielleicht ist das so, weil unser Hunger hier in Deutschland nach dem Wirtschaftswunder und der Wiedervereinigung ein virtueller Hunger ist. Der Ästhetizismus der Berliner Republik ist zumindest den Autoren dieser Auswahl fremd." Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich es bedenklich finden soll, wenn selbst Autoren diesen Gedanken 'automatisch' bekommen. Das Mißverständnis, daß nur ein elendes Leben große Kunst gebiere und diese Behauptung immer wieder zu bemühen, wenn es um die Kunst- oder Literaturförderung geht, scheint mir ein grundsätzliches Hindernis bei der Kulturförderung zu sein.

Dahnke: Bei einem so weit gefaßten Verständnis von Literaturförderung sollte Ihrer Meinung nach sicherlich auch die Leseförderung der Heranwachsenden mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis oder dem Friedrich-Gerstäcker-Preis fürJugendliteratur nicht zu kurz kommen.

Kussin: Es spricht nichts gegen Versuch, jungen Menschen Literatur nahe zu bringen. Ob das mit den eingesetzten Mitteln immer erfolgreich ist, kann ich wiederum nicht beurteilen. Ich finde nur diese Haltung, heute lese ja keiner mehr, übertrieben. Lesende waren – so meine Überzeugung – schon immer in der Minderzahl. Vor allen Dingen die, die sich mit anspruchsvoller Literatur beschäftigt haben.

Dahnke: Weg vom Zweck zur Form: Ist es klug, Literaturförderung generell am Medium festzumachen. Beispielsweise heißt in den Teilnahmebedingungen zum Deutschen Krimi Preis: "Bis zu einer noch zu führenden Diskussion mit einer entsprechenden Entscheidung sind derzeit reine digitale Veröffentlichungen (Ebooks für die verschiedenen Plattformen, einschließlich Amazon Kindle und Apps für Apple und Android-Systeme, sowie Internet-Veröffentlichungen mit und ohne Download-Möglichkeit in Blogs, auf Publishing-Plattformen oder auf Homepages) NICHT wählbar."

Kussin: Nein, das ist nicht klug, ich halte eine solche Beschränkung für unzeitgemäß. Es scheint, dass hier der etablierte Literaturbetrieb noch nicht genügend auf veränderte Bedingungen reagiert hat. Allerdings ist doch während der Leipziger Buchmesse – wenn ich mich recht erinnere – mit dem autoren@leipzig Award erstmals ein Preis für elektronische Eigenpublikationen vergeben worden. Aber in der Bedeutung bleibt so ein einzelner Preis natürlich noch weit hinter anderen Preisen zurück. Mit Sicherheit ist das ein Problem der nicht vorhandenen Lobby.

Dahnke: Für wie hilfreich halten Sie die Förderung mit Literaturpreisen? Zum einen für die Autoren, zum anderen für die den Preis Vergebenden: Bringen sie diesen die erhoffte Publizität und Prestige in der Gesellschaft? Wie wahrscheinlich ist es beispielsweise, dass man nach einer bestimmten Anzahl von Verleihungen des 'Welt'-Literaturpreises die vergebende Berliner Aktiengesellschaft nicht länger wie die Autoren der Studie Drucksache 'Bild' für einen der "großen Einzelhändler Deutschlands[3] hält, sondern eine literarisch engagierte Institution?

Kussin: Bei Literaturpreisen würde ich mir die folgenden drei Gruppen von Akteuren genauer ansehen: erstens die vergebenden Einrichtungen, zweitens die Jurys und drittens die Ausgezeichneten genauso wie die Nominierten. Bezüglich der verleihenden Einrichtungen würde ich wiederum die drei Formen der regionalen, überregionalen und internationalen Wirkung unterscheiden. Ich vermute, dass die finanziellen und personellen Möglichkeiten der preisvergebenden Einrichtungen und der damit zusammenhängende Einsatz von Werbemitteln überhaupt hier in erster Linie ausschlaggebend für den Wirkungsgrad sind. Der Deutsche Buchpreis oder der Preis der Leipziger Buchmesse, ganz zu schweigen vom Nobelpreis für Literatur, haben eine weit größere Ausstrahlung als die vielen regional wirkenden Preise, die zwar von der Fachpresse wahrgenommen werden, die der 'normale' Leser aber meist doch nicht kennt, oder wenigstens nicht deren Relevanz. Von Vertretern der Verlagsbranche wird übrigens bestätigt, dass die Verkaufszahlen signifikant steigen, wenn eine Autorin oder ein Autor beispielsweise für den Leipziger Buchpreis nominiert wird. Dass das Phänomen auch für den Büchner-, den Kleist-, den Johann-Peter-Hebel-Preis und viele andere mehr gilt, wage ich allerdings zu bezweifeln. Während sich 'große' Einrichtungen, also solche, die den Deutschen Buchpreis oder den Preis der Leipziger Buchmesse vergeben, um die Namen der Preisträger nicht weiter kümmern müssen, kann man bei kleineren Preisstiftern durchaus feststellen, dass es bei der Vergabe des Preises auch darum geht, renommierte Autoren auszuzeichnen, deren Glanz dann wiederum auf die Preisstifter zurückstrahlt. Es sei denn, es handelt sich ausdrücklich um Nachwuchspreise.

Jeder, der einmal in einer Jury gesessen hat, weiß, dass das ein gruppendynamischer Prozeß ist. Hier geht es nicht in erster Linie um das beste Werk, herausragende Literatur oder den besten Autor. Dazu sind die Kriterien der Beteiligten viel zu unterschiedlich. Es geht darum, wer sich mit seiner Meinung durchsetzen kann, wer sich mit wem zu welchem Urteil verbündet. Und weil man dies weiß, gibt es ja mittlerweile Modelle, wie beispielsweise beim Deutschen Buchpreis, wo die Jury regelmäßig wechselt. Dass die Urteile auch immer Kritik auslösen, verwundert nicht. Man denke hier z. B. an den Nobelpreis für Literatur. Auch die Besetzung der Jury, je nach dem, wie hochkarätig sie beispielsweise mit Literaturkritikern der überregionalen Feuilletons besetzt ist, garantiert Aufmerksamkeit. Die 'strahlt' wiederum auf den Preisstifter und natürlich den oder die Ausgezeichneten zurück. Gleichzeitig steigt auch der Marktwert eines Literaturkritikers, sofern er in die Jury eines hochrangigen Preises berufen wird. Da lässt die nächste Jury wiederum nicht lange auf sich warten.

Für die Autoren heißt das zunächst einmal: Der Effekt eines Preises beziehungsweise einer Nominierung hängt vom Wirkungsgrad des Preises ab. Ein gut dotierter Preis verscheucht sicherlich nicht nur die Existenzängste des Autors oder der Autorin. Er verschafft ihm oder ihr sicherlich auch Renommée im Literaturbetrieb. Zudem gibt es dieses merkwürdige Phänomen, dass sich die Preise bei manchen Autoren zu häufen scheinen. Ob das tatsächlich daran liegt, dass es sich um ausnehmend gute Literatur handelt, sei einmal dahingestellt. Zumindest gibt es immer ebenso viele Autorinnen und Autoren, die nach Auffassung anderer mindestens genauso gut sind. In der Vita einer Autorin oder eines Autors liest es sich zudem ja immer gut, wenn der eine oder andere oder sogar viele Preise aufgeführt werden können. "So schlecht kann der also nicht sein", suggeriert uns damit der Klappentext eines Buches.

Wie es sich mit dem Literaturpreis der WELT verhält, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich glaube aber nicht daran, dass DIE WELT künftig als 'literarisch engagierte Einrichtung' wahrgenommen wird. Die Zeremonie anlässlich der Preisvergabe soll zwar ganz exklusiv sein, aber in Anbetracht der Tatsache, dass der Preis seit 1999 vergeben wird, ist er meines Erachtens bis heute doch vergleichsweise unbedeutend geblieben. Es handelt sich ausnahmslos um große Namen, die ausgezeichnet wurden, aber vielleicht ist die Springer-Presse doch zu wenig intellektuell und verfügt nicht über genügend Ansehen im intellektuellen Milieu. Zudem ist eine Preissumme von derzeit € 10.000 möglicherweise auch nicht 'preisverdächtig' genug.

Dahnke: Wieweit hängt es Ihrer Einschätzung nach an der Art der angestrebten Publizität, wie schnell man dieselbe bekommt? Anders gesagt: Lassen sich erstens die Verkaufszahlen eines Werkes mit den £ 50.000 des Man Booker Prize möglicherweise rascher 'hochtreiben' als mit der – nur nominal identischen – Summe der € 50.000 des Georg-Büchner-Preises das Buch beispielsweise langfristig im schulischen Kanon fixierbar ist? Und hat zweitens das Umfeld möglicherweise ebenfalls einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Art des gewinnbaren Prestige sowie dessen 'Haltbarkeitsdauer'? Ist vielleicht eine fernsehaffine Vermarktung oder Zusammenarbeit mit einem großen deutschen Autobauer dem Gewinn langfristig haltbarer Positionen im literarischen Feld nur begrenzt zuträglich?

Kussin: Aus berufener Quelle weiß ich, dass beispielsweise der Gewinn des Nobelpreises für Literatur vor allen Dingen Rechteverkäufe in der ganzen Welt nach sich zieht. Dabei ist der materielle Gewinn des Preises im Vergleich mit den Einnahmen, die der Autor danach erzielt zu vernachlässigen. Das ist doch ziemlich enorm angesichts des hohen Preisgeldes. Allerdings ist es auch mit einem erheblichen Aufwand für den Autor verbunden, beispielsweise um die ganze Welt reisen zu müssen.

Wie es sich mit dem Schulkanon verhält, ab wann und ob langfristig eine Autorin oder ein Autor des Zeitgeschehens dort aufgenommen wird, weiß ich gar nicht. In meiner Schulzeit gab es Böll, Frisch, Dürrenmatt. Die gibt es – soweit ich informiert bin – heute noch. Welche zeitgenössischen beziehungsweise noch lebenden Autoren heute in den Schulen behandelt werden, kann ich nicht sagen. Und auch nicht, welche Gründe dabei eine Rolle spielen.

Dahnke: Sollte die öffentliche Hand sich generell stärker in der Literaturförderung engagieren oder noch mehr als bisher privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen das literarische Feld überlassen?

Kussin: Das folgende geht absichtlich über die Literaturförderung hinaus: Sofern man sich bei der Kulturförderung auf privatwirtschaftliche Unterstützung verlässt, überlässt man sich damit einer gewissen Willkür. Nicht, dass es die bei der Förderung der öffentlichen Hand nicht auch bis zu einen gewissen Grad gäbe. So förderte der Bund beispielsweise lange Jahre die Herausgabe einiger Jahrbücher literarischer Gesellschaften, wie z. B. das Goethe- oder das Kleist-Jahrbuch. Eines Tages fiel dann jemand auf, dass das mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren sei. Warum Goethe und warum Kleist? Warum nicht Hölderlin und Heine? Die Gründe für die Förderung sind historisch und vielleicht auch mit einer guten Lobbyarbeit erklärbar. Die mittlerweile vorgenommenen Korrekturen bestanden unter anderem darin, nun gar keine Jahrbücher mehr zu fördern. Festzuhalten bleibt allerdings, dass die Förderung der öffentlichen Hand zwar Veränderungen unterliegt. Sie zieht sich aber nicht völlig zurück. Wenn sich ein Projekt hingegen an einen privatwirtschaftlichen Sponsor koppelt, ist es dem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Als Beispiel seien hier die Berliner Märchentage genannt, die in Vattenfall einen Sponsor fanden und sich, so lächerlich man das auch finden mag, dann Vattenfall Märchentage nannten. Als sich der Energielieferant aber zurückzog, war prompt deren ganze Existenz bedroht.

Auch die Friedrich Wolf-Gesellschaft profitierte von den familiären Verbindungen zur Wall AG und wurde von dort finanziell unterstützt. Hans Wall war bis März 2012 Aufsichtsratsvorsitzender der Aktiengesellschaft und mit der Stieftochter Markus Wolfs, eines früheren hochrangigen Mitarbeiters der Stasi und Sohn des Schriftstellers Friedrich Wolf, verheiratet. Wall war zudem Vorstandsvorsitzender der FriedrichWolf-Gesellschaft.[4] Nach der Scheidung Walls 2009 fiel auch die Förderung der Friedrich Wolf-Gesellschaft weg und diese musste anders planen. Insgesamt denke ich nicht, dass privatwirtschaftliche Förderung ein zukunftsfähiges Modell ist. Die Abhängigkeiten sind zu groß und das Risiko für die Kultureinrichtungen letztlich unkalkulierbar, denn die betriebswirtschaftlichen Erwägungen einer Firma, die sich kulturell engagiert, stehen den Bedürfnissen einer Kultureinrichtung diametral entgegen.

Dahnke: Sollte die Förderung mit Literaturpreisen ausgebaut oder stärker als bisher literarische Gesellschaften und Literaturhäuser in den Blick genommen werden? Denen ist es ja unbenommen, ihrerseits den Literaturpreis der Literaturhäuser in’s Leben zu rufen oder wie die LWS Berlin einen weiteren open mike zu schaffen.

Kussin: Nein, ich denke nicht, dass wir noch mehr Literaturpreise benötigen. In aller Regel ist es für kleinere Einrichtungen schwer, die Mittel für einen Preis aufzutreiben. Vor allen Dingen die Regelmäßigkeit ist ein Problem. Literarische Gesellschaften haben diese Mittel nicht, sondern sind dabei auf Sponsoren angewiesen. Neben den ganzen Preisen gibt es ja zusätzlich noch eine umfangreiche Stipendienvergabe, es gibt die zahlreichen Einladungen der Goethe-Institute in aller Welt, die neben den Aufenthaltskosten auch immer Honorare zahlen. Beim Literaturpreis der Literaturhäuser profitiert der Ausgezeichnete auch davon, dass er in alle beteiligten Literaturhäuser eingeladen wird und ein Honorar bekommt.

Dahnke: Was halten Sie von einer Mittelumschichtung und plädierten Sie dann analog der Sportförderung für den Spitzen- oder den Breitensport? Sind also – bildhaft gesprochen – mehr Büchner- und Kleist-Preise wünschenswert oder brauchen wir mehr wie das Junge Literaturforum Hessen-Thüringen?

Kussin: Auch beim Sport gibt es ja das eine und das andere. Beides schließt sich nicht aus und wird subventioniert. In der Literaturförderung wie in der gesamten Kulturförderung wird immer davon ausgegangen, dass es Veränderungen geben müsse. Die Grundannahme lautet dabei, dass die Mittel nicht mehr für alle reichen. Gleichzeitig sprießen aber andauernd und überall neue Initiativen, Lesefestivals und anderes mehr aus dem Boden, die ebenfalls mit Mitteln bedacht sein wollen. Ich glaube eher, dass die Einrichtungen mehr zusammenarbeiten sollten. Was nicht immer leicht ist, weil zum einen jeder seine Institution in der Vordergrund 'schieben' möchte, um damit wieder neue Mittel einzuwerben. Zum anderen 'stehen hinter' allen Institutionen immer Menschen, die unter 'Zusammenarbeit' nicht in allen Fällen das gleiche verstehen. Schließlich sind einige Einrichtungen aber auch so unter Druck, ständig die Berechtigung ihrer Existenz beweisen zu müssen, dass sie gar nicht anders können, als zu versuchen, sich gegen alle anderen durchzusetzen.

Dahnke: Welche literaturbezogene Entwicklung der letzten 5 bis 10 Jahre bedauern Sie wirklich?

Kussin: Etwas bedauerlich finde ich den Trend zu immer höher, immer weiter, immer schneller. Die Tendenz, Erfolg oder erfolgreiche Arbeit, nur noch an Zahlen ablesen zu wollen, erschwert alles und ist kontraproduktiv. Außerdem diese Manie, alles einem Schlagwort zuzuordnen. Daraus könnte man vielleicht wie bei einem Baum Jahresringe basteln: im einen Jahr sind es die 'Synergien', dann ist es der 'Migrationshintergrund' und im Augenblick ist die 'kulturelle Bildung' ja ganz groß! Das führt dazu, dass Förderanträge beispielsweise im Hinblick auf diese Schlagwörter gebastelt werden, obwohl die Einrichtungen eigentlich nur gute und interessante Veranstaltungen organisieren wollen. Die Zuständigen leben ja selbst in der Zeit und ahnen oder wissen vielleicht sogar, was ansprechend für das Publikum ist. Wegen der politischen Gegebenheiten oder Vorgaben müssen sie aber irgendwas in ihr Konzept 'reinbasteln'. Und schon steht das nächste Schlagwort auf der Agenda.

Dahnke: Wo sehen Sie warum dringenden Handlungsbedarf?

Kussin: Wie bereits gesagt, sollte die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen noch stärker ausgebaut und weiter etabliert werden. So können mit weniger Mitteln und Personal mehr Veranstaltungen und anderes organisiert werden.

Dahnke: Wie kann die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften undGedenkstätten dabei mithelfen?

Kussin: Das tun wir eigentlich schon seit unserer Gründung und sind – meiner Meinung nach – auf einem guten Weg. Zum Beispiel erhalten Projekte, die von mehreren literarisch tätigen Einrichtungen veranstaltet werden, von der ALG bevorzugt Förderungen. Auch dadurch, daß wir die Vertreter von Institutionen direkt auf mögliche Kooperationspartner hinweisen und Vorschläge zur Zusammenarbeit mit anderen machen, kann hier viel erreicht werden. Schnittstellen wie die ALG sind dabei unverzichtbar, denn die Informationen können hier gebündelt und an die Institutionen weiter gegeben werden. Schließlich treten wir, die wir nur einmal im Herbst unsere Jahrestagung veranstalten, dabei auch nicht als Konkurrent, sondern nur als Vermittler auf.

Dahnke: 1995 gaben Sie das Handbuch: Literarische Gesellschaften heraus und 2007 ist die derzeit letzte Ausgabe von Literarische Gesellschaften, Literaturmuseen und literarische Gedenkstätten mit Namen, Zahlen, und Hinweisen zu 350 Einrichtungen erschienen. Ist demnächst mit einer überarbeiteten Neuauflage des einen oder anderen beziehungsweise alternativ dem Start einer Web-Site zu rechnen?

Kussin: Für das Verzeichnis der Gesellschaften, Literaturmuseen und literarischen Gedenkstätten planen wir keine neue gedruckte Auflage. Das lohnt sich im Zeitalter des Internets nicht mehr. Die Kosten sind angesichts der ständigen Veränderungen einfach zu hoch. Auf der Internetseite der ALG versuchen wir alle uns zur Verfügung stehenden Informationen – auch über Nicht-Mitglieder – zu bündeln. So kann man z. B. in der Link-Sammlung unter http://www.alg.de/de/mitgliedersuche.html alle Einrichtungen finden, die auf diesem Gebiet tätig, aber nicht Mitglied der ALG sind.

Wegen einer Neuauflage des Handbuches über Literarische Gesellschaften hatten wir vor einigen Jahren Gespräche mit Verlagen. Aber auch dort vertrat man die Auffassung, dass ein solches Werk heute nicht mehr zeitgemäß sei. Vorstellbar war höchstens eine Lose-Blatt-Sammlung, die man unkompliziert ergänzen und anpassen kann. Auch das bände aber mehr Kapazitäten an Personal und Geld, als uns zur Verfügung stehen.

Dahnke: Frau Kussin, wir danken Ihnen recht herzlich für das ausführliche und informative Gespräch.



[2] Jan Kuhlbrodt: Imperium und Garten. Zum Dossier "Problems of Horror" im Schreibheft Nr. 79 und 80. In: FIXPOETRY.com

[3] Arlt, Hans-Jürgen/Wolfgang Storz: Drucksache "Bild«" – Eine Marke und ihre Mägde. Die »Bild«-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010. OBS-Arbeitsheft 67. Frankfurt/Main: Otto Brenner Stiftung. 2011. S. 68

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