Der Verleger von Kiepenheuer & Witsch im Gespräch
Helge Malchow leitet einen der großen deutschen Publikumsverlage, Kiepenheuer & Witsch in Köln. Er ist erst der dritte Verleger in der Geschichte dieses Hauses, das 1947 gegründet wurde. 1951 erschien das erste Buch, inzwischen verzeichnet die Verlagshomepage 546 Autoren/innen. Verlagsgründer war der Bibliothekar Joseph C. Witsch (der schon 1967 starb). 1969 folgte Reinhold Neven DuMont, der den Verlag erwarb und 33 Jahre lang überaus erfolgreich leitete. 2002 folgte Helge Malchow auf dem Chefsessel. Im gleichen Jahr übernahm die Holtzbrinck-Gruppe die Mehrheit am Verlag.
Einer der ersten Erfolge des Verlages war die Herausgabe des erzählerischen Werkes von Joseph Roth (1939 gestorben), der ohne diese Veröffentlichung wohl in Vergessenheit geraten wäre. Hinzu kamen damalige Erfolgsautoren wie Vicki Baum oder Erich Maria Remarque. 1953 wechselte der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll zu Kiepenheuer & Witsch, heute oft kurz KiWi genannt, und blieb dem Verlag bis zu seinem Tod 1985 treu. Insgesamt sechs Autoren von KiWi erhielten Nobelpreise: neben Böll (1972) waren dies Patrick White (1973), Saul Bellow (1976), Czeslaw Milosz (1980), Gabriel García Márquez (1982) und Le Clézio (2008). Dazu wurden viele Autoren von KiWi bis heute mit ungezählten Literaturpreisen geehrt. 2005 wurde Helge Malchow zum "Verleger des Jahres" gewählt, eine der ganz wenigen Auszeichnungen, die es für Verleger bzw. Verlage bisher gibt.
Im November 2012 erhielt einer der originellsten Schriftsteller der Gegenwart und KiWi-Autor Christian Kracht den Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig. Kracht war zuvor wegen seines aktuellen Buches "Imperium" über den exzentrischen Aussteiger August Engelhardt, den es vor 1900 in die deutschen Kolonien der Südsee zog, in die Kritik geraten, weil seinem Buch von einem Kritiker politische Rechtslastigkeit unterstellt wurde. Angesichts der Heftigkeit der Debatte, die den Literaturbetrieb fast ein Jahr beschäftigte, wollte kulturpreise.de von Helge Malchow wissen, welche Bedeutung Literaturpreise heute für einen Verlag haben können.
Wyrwoll: Literaturpreise oder Stipendien sind für wahrscheinlich die meisten Autoren die wichtigste Einnahmequelle. Welche Rolle aber spielen sie für die Verlage?
Malchow: Literaturpreise sind nicht die wichtigste Quelle, das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Die Schriftsteller leben normalerweise von einer ganzen Fülle von Jobs: Sie schreiben für Zeitungen, Radio, Fernsehen, Theater, Werbung und wofür man sonst noch schreiben kann. Viele haben reguläre Berufe, sind Beamte, zum Beispiel Lehrer, oder arbeiten freiberuflich. Die Allerwenigsten können von ihren Büchern leben, auf Dauer auch nicht von Preisen oder Stipendien. Literaturpreise sind ohne Zweifel nützlich, besonders wenn sie gut ausgestattet sind, aber sie wirken vor allem indirekt, erhöhen die Reputation des Autors in der Fachwelt und beim interessierten Leser und ebenso die Reputation der Verlage der Preisträger.
Wyrwoll: Auf kulturpreise.de sind fast 500 deutsche Literaturpreise aufgelistet. Gibt es Ihrer Meinung nach Preise oder Ehrungen, die auch für Verlage besonders wichtig sind?
Malchow: Nach meinem Eindruck sind die wichtigsten Literaturpreise in Deutschland: der Georg-Büchner-Preis, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung auslobt, 1923 zum ersten Mal verliehen und heute mit 50.000 € dotiert, der Deutsche Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, den es seit 2005 gibt und der mit 25.000 € dotiert ist, vor allem aber große Verkaufszahlen nach sich zieht, der Preis der Leipziger Buchmesse, der seit 2005 in drei Kategorien jeweils 15.000 € bereit hält, der Wilhelm Raabe-Preis der Stadt Braunschweig, der 1941 gegründet wurde und heute 30.000€ vergibt, der Kleist-Preis, der seit 1912 existiert und mit 20.000 € dotiert ist sowie der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, den es seit 1972 gibt und der inzwischen 50.000 € ausschüttet. Man kann deutlich sehen, dass es nicht nur aufs Geld ankommt, das Renommee des jeweiligen Preises hängt von der Reihe der Preisträger und nicht zuletzt von der Unabhängigkeit und Qualität der Jury ab. Davon profitieren natürlich auch die Verlage. Übrigens: keiner der deutschen Preise hat ein internationales Renommee wie z.B. der Booker-Prize oder der Prix Goncourt.
Wyrwoll: Sie haben eine Reihe von Nobelpreisträgern im Programm, allen voran Heinrich Böll, nach dem auch ein Preis der Stadt Köln benannt ist…
Malchow: …Böll ist nach wie vor ein wichtiger Autor, vor kurzem haben wir die 27 Bände der Werkausgabe abgeschlossen. Leider weiß die Stadt Köln offenbar nicht, wie sie mit dem Preis umgehen soll. Er wird nur alle zwei Jahre verliehen und seine Dotierung ist aus unerfindlichen Gründen von 30.000 auf 20.000 € herabgesetzt worden. Die ausgezeichneten Autoren sind wunderbar. Aber wie soll dieser eigentlich wichtige Preis nationales Renommee gewinnen, wenn man ihn sozusagen nebenbei nur alle zwei Jahre verleiht? Preise werden nicht durch eine nette Feierstunde im Rathaus bekannt, sie sind ernsthafte Instrumente der Künstler- und Kulturförderung und können sogar zur Standortpolitik beitragen. Man denke nur an den Düsseldorfer Heine-Preis, der nach Jahren ungeschickten politischen Handelns nun auch wieder national und positiv wahrgenommen wird. Würde man den Böll-Preis jährlich vergeben und ihn wieder besser ausstatten, könnte man mehr Autoren auf Köln aufmerksam machen, sie vielleicht sogar an die Stadt binden. Und Kölns Ruf würde sich merklich verbessern.
Wyrwoll: Christian Kracht, prominenter und umstrittener Autor bei Kiepenheuer & Witsch, erhielt gerade den Wilhelm-Raabe-Preis, den Sie selbst zu den wichtigsten Literaturpreisen zählen. Warum haben Sie sich so gefreut, dass Kracht ausgewählt wurde?
Malchow: Wir verlegen die Bücher von Kracht, weil wir davon überzeugt sind, dass er zu den besten deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart gehört. Ein Verlag übernimmt immer auch eine Verantwortung seinen Autoren gegenüber. Die Auseinandersetzungen nach einer ersten, ziemlich böswilligen Rezension im letzten Februar, an denen ich mich auch persönlich als Verleger beteiligt habe, waren heftig, die meisten seriösen Kritiker haben dann aber die Vorwürfe zurückgewiesen. Gefreut hat uns, dass der Preis nun diesen exzellenten Roman gegen die unangemessenen Vorwürfe rehabilitiert hat.
Wyrwoll: Sie betonen oft die Verantwortung des Verlages seinen Autoren gegenüber. Geraten Sie damit nicht manchmal in Konflikt mit der Notwendigkeit, Geld zu verdienen?
Malchow: Nein. Ein Verlag ist ein Unternehmen und muss wirtschaftlich arbeiten. Das ist die Geschäftsgrundlage. Wir müssen wie andere Unternehmen am Markt bestehen, allerdings mit einem fragilen und besonderen Produkt, mit Literatur, also Romanen, Gedichten, Erzählungen, mit guter Unterhaltung und wichtigen, auch politischen Sachbüchern.
Wyrwoll: Sehen Sie noch Bedarf an neuen Preisen, vielleicht auch für Verlage?
Malchow: Es gibt kaum Preise für Verlage oder Verleger. Das unterscheidet unsere Welt von der Medienwelt, wo es viele Preise für Vermittler, Moderatoren oder Journalisten gibt. Ein Verlagspreis könnte hilfreich sein, auch weil in der digitalen Welt durch e-Book und Internet-Buchhandel für den "User" das "Branding", also die öffentliche Markenbildung, immer wichtiger wird. Wir sind in einer Zeit des Umbruchs, die unsere ganze Aufmerksamkeit verlangt, damit qualifizierte und erfahrene Kulturvermittler wie Verlage auch weiterhin überleben können. Dazu könnten auch Preise helfen!