Neue Forschungsergebnisse zu Literaturpreisen
Auf den ersten Blick scheint alles klar zu sein: Literaturpreise werden von einer Institution an Autoren/innen verliehen, in der Regel für eines oder mehrere ihrer Werke. Wer mit dieser definitiv zu simplen Definition alles übersehen wird, ist im KULTURPREISE-Interview von Andreas Joh. Wiesand mit Michael Dahnke nachzulesen, in dem der Germanist seine neueste Forschung zum Thema vorstellt….
KULTURPREISE: Gemessen am teilweise gewaltigen Echo, das Kulturpreise und ähnliche Auszeichnungen in der Öffentlichkeit auslösen können, wirkt die analytische, und vor allem empirische, Forschung in diesem Feld bisher doch etwas unterdimensioniert. Hier sind Sie mit Ihrer Analyse von Akteuren bei Literaturpreisen eine Ausnahme. Haben Sie sich deshalb die Mühe gemacht, sie zu schreiben?
DAHNKE: Auch. Erstens gab es gute Gründe, die Modellbildung dazu überhaupt noch einmal vollkommen neu zu überdenken und dann auch etwas Neues zu entwerfen. Zweitens ist eine empirisch gesicherte Ausgangsbasis unverzichtbar und drittens ist es mir schlicht schleierhaft, warum niemand vor mir auf die Idee gekommen ist, die Akteure selbst stärker in den Blick zu nehmen. Natürlich ist das "teilweise gewaltige Echo" literarischer Auszeichnungen beziehungsweise einzelner Verleihungen ein guter Grund gewesen. Ein anderer Aspekt ist für mich aber noch deutlich wichtiger gewesen, und gerade den theoretisch zu modellieren ist nicht gelungen. Er hat die Ausgangsfrage ganz wesentlich motiviert: Wie wirksam oder erfolgreich sind literarische Auszeichnungen? Bei den Recherchen lautete eine Frage an die Mitglieder Preise vergebender Organisationen: Wie erfolgreich ist denn ihre Auszeichnung dieses oder jenes Buch, die Vergabe an den Autor oder die Autorin nun gewesen? Wie dargestellt, ist die finanzielle Situation vieler einen Preis vergebender Institutionen ja mindestens prekär. Deswegen schien es selbstverständlich, dass die Verantwortlichen besonders darauf achten, dass das Geld nicht umsonst ausgegeben wird. Genau diesen Erfolg konnten sie aber vielfach nicht so benennen, wie erwartet beziehungsweise zumindest nicht so, dass sich daraus eindeutige Erfolgskriterien hätten ableiten lassen. Bis mir irgendwann klar wurde, dass a) die Frage anders zu stellen ist und b) wie erkenntnisfördernd stattdessen die Beantwortung der Frage nach den Motiven der einzelnen Akteure sein könnte. Am Ende ließen sich also keine Kriterien für Erfolg oder Misserfolg einer literarischen Auszeichnung entwickeln. Daraus ist aber eine der zentralen Fragen des Modells entstanden, nämlich die nach den Motiven der Beteiligten: Warum machen die das? Was erhoffen sie sich davon, für sich und für andere? Die Wahl des empirisch-analytische Ansatzes des Modells erklärt sich zum einen zweifelsohne zuerst und vorrangig aus der Person des Forschers. Zum anderen bedurfte es aber auch unbedingt einer Rückbindung des Modells an die Praxis. Und dabei wurde schließlich immer wieder deutlich, dass bei Literaturpreisen längst nicht nur die Autoren und die Preisverleiher eine wesentliche Rolle spielen.
KULTURPREISE: Ihr Ansatz unterscheidet sich also von bisherigen Untersuchungen, kann man diese Unterschiede noch etwas genauer markieren - oder noch zugespitzter gefragt: Wer sind denn die, in Ihrer Lesart: "konkurrierenden" Teilnehmer in diesem Markt, der ja gelegentlich auch als "Markt der Eitelkeiten" beschrieben worden ist?
DAHNKE: Man kann, und auch das Stichwort vom "Markt der Eitelkeiten" passt recht gut. Damit lässt sich vielleicht der mit der Arbeit angestrebte, analytische Anspruch ganz anschaulich darstellen: Grundsätzlich halte ich die größtmögliche sprachliche Eindeutigkeit des Ausdrucks in der Beschreibung und Analyse aus zwei Gründen für zwingend, a) um zu verstehen, welche Zwecke die Akteure des zu untersuchenden Bereiches – bewusst oder unbewusst – mit ihrer Metaphorik verfolgen und b) um die Ergebnisse der eigenen Untersuchung hernach eindeutig präsentieren zu können, statt einmal Erkanntes, etwa wieder mit den benutzten sprachlichen Belegen der in ihrer Praxis beobachteten Akteure, zu verdecken oder zu "verunklaren". Dieser manchen vielleicht allzu nüchtern erscheinende und sprachlich bewusst unmetaphorische Zugriff auf das Thema unterscheidet meine Arbeit zweifelsohne vom bisherigen Ansatz, den ich in meiner Arbeit ebenfalls rekonstruiert habe. Einen weiteren wesentlichen Unterschied haben Sie bereits angesprochen: Die weiteren Akteure neben den Autoren und Preisgebern. Der Bremer Literaturpreis beispielsweise besteht seit 1977 aus einem Haupt- und einem Förderpreis. Letzteren hat in den vergangenen Jahren die ÖVB – Öffentliche Versicherung Bremen finanziert. Diese ist weder mit der Jury noch mit der den Preis vergebenden Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung identisch. Da stellen sich dem interessierten Beobachter doch gleich mehrere Fragen: Was ist das für eine Institution? Warum gibt sie Geld und nimmt sie damit vielleicht direkt oder indirekt Einfluss auf die Wahl der Preisträger? Anders und allgemeiner formuliert: Gibt es vielleicht direkte oder indirekte Abhängigkeiten von einzelnen Akteuren, welche den Preis zwar nicht vergeben, für dessen Vergabe aber trotzdem unverzichtbar sind? Und wenn ja: Wie modelliert man diese Akteure? Auch für Verlage sind Literaturpreise aus verschiedenen Gründen relevant, angefangen bei einer Talentschau wie dem Open Mike, über die Protektion der "eigenen" Autoren beim Ingeborg-Bachmann-Preis bis zur Nutzung der Auszeichnung auf Klappentexten und Waschzetteln.
KULTURPREISE: Ist beim Studium der verschiedenen Akteure, die auf einzelne Auszeichnungen – oder auf die ganze literarische "Preislandschaft" – einwirken oder davon profitieren (möchten) das einschlägig interessierte Publikum bisher wirklich zu kurz gekommen? Immerhin wurden ja manche Preise der letzten Jahrzehnte (z.B. die Corine), mit denen auch Sie sich z.T. beschäftigen, mehr oder weniger explizit als Marketing-Kampagnen zur Gewinnung neuer Leser konzipiert. Da wird es vielleicht sogar vorbereitende Studien gegeben haben, auch wenn die nicht unbedingt öffentlich zugänglich sind…
DAHNKE: …davon gehe ich auch aus und habe die entsprechende Literatur durchsucht. Das zwar ausführliche aber nicht mehr ganz taufrische Ergebnis war die Studie Leseverhalten in Deutschland im neuen Jahrtausend der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2001. Abgesehen von der Empirie, zu der es vielleicht auch noch weitere Studien geben mag, ist es mir aber wichtig, klar zu stellen, dass "das einschlägig interessierte Publikum" in der bisherigen Theoriebildung nicht als eigenständige Akteursgruppe wahrgenommen worden ist. Das ist aber unbedingt notwendig.
KULTURPREISE: Ihre Position zur im Feuilleton vielbeschworenen "Preisschwemme" – und zu ihrer bösartigen Variante: "Hungert Sie aus!"…
DAHNKE: Das hält sachlicher Prüfung nicht statt und ist in dieser überspitzten Form nicht einmal mehr amüsant. Zur Sache selbst darf ich zwei "Eideshelfer" zitieren: Jörg Sundermeier schrieb eine Woche später im Börsenblatt, dass zwar fast jeden Tag ein Preis vergeben werde: "Doch wirklich hoch dotiert ist davon kaum einer. Die aber, die Renommee versprechen und ein Preisgeld, von dem es sich zumindest ein paar Monate angenehm leben lässt, sind nicht nur nicht Legion, sie werden beinahe ausnahmslos an jene Schriftsteller verliehen, die bereits nicht mehr als notleidend gelten können". In Ihrem Artikel Kulturpreise weiter im Aufwind von 2010, in dem Sie einen 25 Jahres-Vergleich von 1985 bis 2010 vorgestellt haben, lese ich zum einen: "Am schwächsten schneidet im 25 Jahres-Vergleich die Sparte Literatur ab". Zum anderen heißt es auch im 10-Jahresvergleich von 2001 zu 2010: "Literatur (-9%)". Also offensichtlich doch eher Schwund statt Schwemme.
KULTURPREISE: Muss ich meine bisherige Auffassung (aus der letzten gedruckten Ausgabe des Handbuchs der Kulturpreise) revidieren, nach der Publizität und "symbolisches Kapital" (Bourdieu) für die Empfänger einer Auszeichnung einen größeren Wert haben können als die materielle Dotierung?
DAHNKE: Nicht nach den Erkenntnissen meiner Untersuchung. Grundsätzlich ist aber auch hier nach den verschiedenen Zielgruppen einer Auszeichnung und den Absichten der Preisgeber zu fragen beziehungsweise zu differenzieren. Wie ich mit dem Open Mike darzustellen versucht habe, sind bei diesem Preis die unbaren Bestandteile, mit denen die literarischen Kompetenzen des Nachwuchses entwickelt und Öffentlichkeit für die Preisträger geschaffen werden soll, ungleich wichtiger als die Dotation. Wenn es hingegen jemand mit seinem Preis Autoren oder Autorinnen ermöglichen möchte, sich für eine gewisse Zeit ganz dem Schreiben zu widmen, sollte die Summe deutlich höher als 2.500 Euro sein. Der oder die Ausgezeichnete muss ja mindestens einen Teil dieser so als frei von Erwerbsarbeit finanzierten Zeit aufwenden, um sich nach Geldquellen für die Zeit umzusehen, in der die Dotation aufgezehrt ist. Mit anderen Worten haben Sie hier das übliche Problem jeder Projektfinanzierung: Am Ende der Laufzeit eines Projektes müssen bereits Gelder für das nächste Projekt eingeworben werden.
KULTURPREISE: Andererseits: Kann man auch "zu hoch" dotieren?
DAHNKE: Das ist meine Erklärung dafür, warum die Organisatoren einer bei mir ausführlich beschriebenen Auszeichnung bislang nicht die erhoffte Wirkung mit ihrer Auszeichnung erzielt haben, ja, in der Anfangsphase sogar durchaus kritische Töne angesichts der Höhe der Dotation laut geworden sind. Bis zur Präsentation überzeugender Gegenbeispiele gehe ich davon aus, dass es allein mit einer übermäßig hoch dotierten Auszeichnung nicht gelingen kann, den Namenspatron einer Auszeichnung bekannt zu machen und ihm und seinem Werk kanonische Geltung zu verschaffen. Aus meiner Sicht wäre ein Teil der Preissumme besser in weitere Öffentlichkeitsarbeit für den jeweiligen Namensgeber der Auszeichnung investiert. Das tut derzeit beispielsweise die Uwe-Johnson-Gesellschaft, um das Andenken "ihres" Autors zu bewahren. Das Herzstück der Kanonisierungsbemühungen ist hier aus meiner Sicht nicht ein Preis, sondern die Werkausgabe der Berlin-Brandenburgischen-Akademie der Wissenschaften, die mit dem jährlichen Jahrbuch, den zweijährlichen Tagungen und Aktionen wie Eine Stadt liest Uwe Johnsons "Jahrestage" mit weiteren, öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen begleitet wird.
KULTURPREISE: Etwas Spott im Sinne von Kurt Tucholsky muss immer sein: Wer sollte sich die – bei rund 250 Seiten nicht ganz unbeträchtliche – Mühe machen, Ihre Untersuchung zu lesen?
DAHNKE: Natürlich ist es zuerst eine wissenschaftliche Arbeit. Die verschiedenen, ausführlich geschilderten Beispiele machen die Theorie und insbesondere die damit zu den einzelnen Auszeichnungen gewonnenen Erkenntnisse aber hoffentlich auch für Praktiker und andere Nicht-Wissenschaftler interessant. Im Idealfall lesen diese Arbeit also mindestens auch alle die Vertreter der Preise verleihenden Institutionen mit Gewinn, ohne die ich diese Untersuchung nicht hätte durchführen können. Eine Zielgruppe sind schließlich auch alle, die sich überhaupt für literarische Verhältnisse im deutschsprachigen Raum interessieren.
KULTURPREISE: Sie streben ja ein neues "Modell" für die Vergabe von Literaturpreisen an. Wo und wie lange muss noch weiter geforscht werden, bis es da zu praktisch umsetzbaren Szenarien kommt? Und wer könnte dabei ein Partner für Sie sein?
DAHNKE: Was die weiterführende Forschung betrifft, ist das weniger eine Frage der Zeit als der Möglichkeiten. Bestimmte Bereiche sind einfach schwer bis gar nicht zu erfassen, beispielsweise Protokolle von Jurysitzungen. Gerade der Akt der Preisträgerfindung könnte aber interessante Aufschlüsse über die Motive der Juroren liefern. Realistischer erscheint mir dagegen eine, in der Arbeit skizzierte, Umfrage bei den Autoren, idealerweise mit dem VS oder einem Literaturhaus einer Großstadt sowie einem Verlag oder einer Buchhandlung als Partnern. Der VS oder das Literaturhaus stellten die Kontakte zu den zu befragenden Autoren her und der Verlag oder die Buchhandlung unterstützen die als Ausschreibung zu gestaltende Umfrage, bei der ein Autor entweder die Veröffentlichung eines Textes oder eine Lesung gewinnen könnte.
KULTURPREISE: Danke für dieses Gespräch und viel Erfolg bei der Suche nach geeigneten Partnern für Ihre weitere Arbeit!
Hinweis: Der Autor kann über dieses Portal kontaktiert werden. Seine Untersuchung ist nachzulesen über folgenden Link der DNB: http://d-nb.info/1103682962